Stefan Trometer ist Managing Director beim Softwareentwickler Virtual City Systems. Mit digitalen Stadtmodellen kennt er sich also bestens aus. In einem Gastbeitrag für das TUM Institute for LifeLong Learning erklärt der Experte, warum „digitale Zwillinge“ essenziell dafür sind, die Städte der Zukunft zu bauen. Sein Wissen gibt er auch im Zertifikatsprogramm „Digital Twins for Cities“ weiter, das im Februar 2023 erneut am TUM Institute for LifeLong Learning auf Deutsch startet.
Das Wichtigste zuerst: Das digitale 3D-Stadtmodell ist viel mehr als nur eine visuelle Kopie der Stadt, es ist eine digitale Plattform für interaktive Planung, Analyse und Simulation. Damit trägt es zur Lösung einiger der drängendsten Probleme der Städte in der Gegenwart bei. Dass diese sich noch verstärken, ist gewiss: Bis 2050 wandern etwa 2 Milliarden Menschen in städtische Gebiete ab. Das bedeutet, dass Städte weltweit vor der beispiellosen Herausforderung stehen, ihre Infrastruktur rasch anzupassen und auszubauen, um für ihre Bürger*innen sicher, nachhaltig und lebenswert zu sein.
Warum ist der digitale Zwilling also genau die richtige Technologie? Das zunehmende Wachstum der Städte und der Klimawandel stellen die Gestaltung des urbanen Raums vor große Herausforderungen. Wie verändert sich die Windströmung bei einer Neubebauung? Wie gehen wir mit dem Fund einer Fliegerbombe im dicht besiedelten urbanen Raum um? Diese und weitere Fragen müssen heute zum Wohl und Schutz der Bevölkerung sowie als Beitrag zur Klimawandelanpassung und zu einer sicheren und lebenswerten Stadt beantwortet werden. Es braucht die bestmöglichen Vorhersagen, um Potenziale zu erkennen oder Gefahren abzuschätzen. Wie groß ist der Evakuierungsradius einer Fliegerbombe? Muss das Krankenhaus komplett evakuiert werden?
Digitaler Zwilling schafft die Basis für datengestützte Designentscheidungen
Angesichts der zunehmenden Komplexität aus den vielschichtigen Anforderungen an Stadtplanungen bietet ein Digitaler Zwilling weitere Vorteile. Obwohl er ein breiteres Spektrum an Datenquellen und eine stärkere Beteiligung der Mitwirkenden erfordert, spart er im Ende Zeit und Geld. Zunächst einmal entfällt der Bedarf an physischen und maßstabsgetreuen Modellen, denn die Prozesse werden digitalisiert. Darüber hinaus fördert der Zwilling die Möglichkeit, innerhalb des Modells risikofrei zu experimentieren. Stadtverwaltungen, Expert*innen, Institutionen und Privatpersonen können ihre Zusammenarbeit testen und verbessern.
Die aus dem Modell resultierenden intelligenteren Designentscheidungen machen Städte sicherer, sauberer – und im weiteren Sinne sind digitale Zwillinge auch im Kampf gegen den Klimawandel von unschätzbarem Wert. Denn: Um Klimaneutralität zu erreichen, müssen unzählige Wechselwirkungen im Energiesystem einer Stadt berücksichtigt werden. Der digitale Zwilling hilft, diese komplexen Zusammenhänge sichtbar zu machen.
Simulation von Wind und Sonneneinstrahlung möglich
Ein praktisches Beispiel: Windverhältnisse haben einen großen Einfluss auf die Dauerhaftigkeit und die Funktionalität von städtischen Strukturen sowie auf den Komfort und die Sicherheit der Bürger. Windsimulation ermöglicht Komfortstudien und die Untersuchung von Emissionsausbreitungen im urbanen Raum. Durch die Kopplung von Analysen zur solaren Einstrahlung mit der Wind- und Thermiksimulation lassen sich beispielsweise städtische Wärmeeffekte wie urbane Hitzeinseln untersuchen. Mithilfe der Abbildung des Emissions- und Strömungsverhaltens von Partikeln kann so u.a. die Ausbreitung von Feinstaub im urbanen Raum abgebildet werden.
Zertifikatsprogramm „Digitale Zwillinge für Städte“
Das berufsbegleitende Zertifikatsprogramm „Digitale Zwillinge für Städte“ startet auf Deutsch erneut im Februar 2023. Es richtet sich an Führungskräfte und Projektmanager*innen aus Stadtplanung und Architektur, planungsverantwortliche Mitarbeiter*innen kommunaler Träger sowie Fachkräfte aus den Bereichen Smart City, Vermessung und Geoinformation. Die Teilnahme ist auf 20 Personen begrenzt, Anmeldungen sind ab sofort möglich.