Welche Bereiche sollten Stakeholder der Immobilienbranche beim Thema Nachhaltigkeit berücksichtigen?
Nübel: Natürlich sind das zunächst einmal alle regulatorischen Vorgaben. Denn es ist davon auszugehen, dass in naher Zukunft die Regulatorik zum Thema Nachhaltigkeit stark zunehmen wird. Dabei spielen sowohl Kriterien eine Rolle, die direkt vom Gesetzgeber definiert werden, als auch indirekte Kriterien, die von Investoren und Kapitalgebern kommen. Schon heute werden zunehmend Anlageformen gesucht, die ESG-Kriterien erfüllen. Die Immobilienbranche wird dabei eine große Rolle spielen, da sie sehr kapitalintensiv ist.
Nachhaltigkeit entsteht aber nicht allein aus regulatorischen Vorgaben. Ich denke sogar, dass hier eine große Gefahr besteht, die falschen positiven oder negativen Anreize zu setzen. Unser Wirtschaftsgeschehen ist so ungeheuer komplex, dass ein erhebliches Eingreifen in ein komplexes System wie zum Beispiel durch erheblich verschärfte Bauvorschriften zu Effekten führt, an die niemand gedacht hat. Daher erzielt man Nachhaltigkeit insbesondere durch einen dialogischen Prozess der unterschiedlichen Stakeholder entlang der Wertschöpfungskette Bau, die ihre jeweiligen Zielperspektiven einbringen.
Zurück zu Ihrer Frage: Ich denke, dass die Immobilienbranche einen holistischen Ansatz braucht, in dem individuelle und kollektive Zielperspektiven gegeneinander abgewogen werden müssen.
Was sind die größten Herausforderungen, die die Stakeholder der Immobilienbranche auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit bewältigen müssen?
Nübel: Die Wertschöpfungskette Bau ist sehr stark fragmentiert. Es gibt dadurch sehr viele Stakeholder, die in einem einzelnen Projekt involviert sind. Zudem stellt ein großes Problem die starke Trennung zwischen Planung und Bauausführung dar. Gerade wenn es darum geht beispielsweise bestehende Bausubstanz in ein neues Projekt zu integrieren oder bestimmte, umweltschonende Bauverfahren einzusetzen. Nachhaltigkeit hört nämlich nicht bei energieeffizienten Gebäuden im Betrieb auf. Es muss schon der komplette Lebenszyklus berücksichtigt werden. Daher ist eine viel stärkere Integration der Wertschöpfungskette Bau erforderlich.
Was sind die größten Chancen, wenn ich mich bereits jetzt als Pionier der Thematik damit auseinandersetze?
Nübel: Unternehmensführer müssen schon heute antizipieren, was in ein paar Jahren relevant wird. Dass sich solche Entwicklungen oft schneller vollziehen als gedacht, zeigt sich beispielsweise an den stark ansteigenden Energiepreisen. Am Thema Nachhaltigkeit wird kein Weg vorbeiführen. Jetzt geht es darum, sinnvolle Ansätze tatsächlich umzusetzen.
Was sind die ersten Schritte, die ich als Beteiligte*r für mehr Nachhaltigkeit in der Immobilienbranche unternehmen kann?
Nübel: Wichtig ist, dass man beginnt sich mit diesem Thema intensiv auseinanderzusetzen. Viele Firmen haben damit schon länger begonnen. Von da her werden nachhaltige Konzepte zukünftig zum Wettbewerbsfaktor. Wie bereits erwähnt müssen selbstverständlich die zukünftigen (und auch schon heutigen) regulatorischen Anforderungen erfüllt werden. Dazu müssen die Firmen die entsprechende Kompetenz erwerben. Dies wird aber nicht genügen, da nachhaltiges Bauen einfach viel größere Ansprüche an den gesamten Wertschöpfungsprozess stellt. Schon in der Planung müssen Kriterien berücksichtigt werden, die bisher überhaupt keine Rolle gespielt haben, d.h. es müssen auch zukünftig Akteure miteinander sprechen, die bisher im Wertschöpfungsprozess keine Berührungspunkte hatten. Das erfordert ein viel integrativeres Bauen als es bisher der Fall war.
Welche Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit sind Ihrer Meinung nach die kommenden Jahre am wichtigsten? Welche Maßnahme sehen Sie als erstes den Markt „erobern“?
Nübel: Hier gibt es schlichtweg keine Patentrezepte. Um aber die entsprechenden Strategien entwickeln zu können, muss ich verstehen, wohin sich die Anforderungen des Marktes bewegen und mit welchen neuen Ideen, Technologien und Konzepten ich dem begegnen kann. Die Bauwirtschaft kommt in Bewegung und das Thema Innovation rückt in den Vordergrund. Dabei geht es nicht nur um technische Innovationen, sondern auch darum, die unterschiedlichen Ansätze zu einem schlüssigen, wirtschaftlichen und nachhaltigen Produkt zusammenzuführen. Ein Bauwerk ist in seiner finalen Ausprägung immer ein Unikat. Die Prozesse, mit denen es geplant und produziert wird, sind es aber nicht. Diese sind replizierbare Vorgänge. Wir können nicht an jedem Bauprojekt Nachhaltigkeit neu erfinden.
Wie kann ich mich in diesem Bereich weiterbilden? Und was ist das Besondere am Kurs „Sustainable Real Estate“, der im September am TUM Institute for LifeLong Learning startet?
Nübel: Mit dem Zertifikatsprogramm “Sustainable Real Estate” qualifizieren wir Sie als Führungskraft für diese herausfordernde interdisziplinäre Aufgabe, um mehr Wertschöpfung in Ihrem Unternehmen zu schaffen. Die Innovation entsteht aus der Synthese verschiedener Fachdisziplinen zu einem nachhaltigen Wertschöpfungsprozess. Dabei verstehen wir nachhaltige Immobilienentwicklung als dialogischen Prozess, der die Zielkonflikte von Immobilienprojekten als Herausforderung versteht und die Fähigkeiten vermittelt, optimale Ergebnisse zu erzielen.
Dieses Zertifikatsprogramm bildet den Beginn eines mehrstufigen Ausbildungsprogramms. Durch die interdisziplinäre Ausrichtung des Programms werden die Grundlagen für strategisch orientierte Entscheidungen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und erarbeitet. Anhand realer Fallstudien und angeleitet von Expert*innen der TUM und der Praxis lernen Teilnehmende in kleinen Lerngruppen immobilienwirtschaftlich relevante Themenstellungen prozessorientiert zu verstehen. Dadurch erlangen die Teilnehmenden ein wissenschaftlich fundiertes und integriertes Wissen, das sie befähigt, unternehmerische und politische Verantwortung zu übernehmen.