Im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung ist die große Menge an Daten nicht nur eine zentrale Herausforderung, sondern auch eine Chance für die industrielle Fertigung und Produktion. Entscheider in allen Fertigungsindustrien müssen zunehmend wissen, wie sie Big Data in der Produktionstechnik interpretieren und nutzen können. Im Interview mit Thomas Mair beleuchten wir die Relevanz von künstlicher Intelligenz und deren Weiterentwicklung für die Produktionstechnik sowie die Chancen und Risiken, die mit ihrem Einsatz verbunden sind. Wir gehen auch auf einige der spannendsten Anwendungsfälle für die Fertigung und ihre Rolle bei der vierten industriellen Revolution, auch bekannt als Industrie 4.0, ein.
Warum ist es wichtig, sich jetzt mit Künstlicher Intelligenz (KI) zu beschäftigen?
Thomas Mair: Bislang hat KI nur in Einzelfällen Einzug in unseren Alltag oder in die Produktionstechnik gehalten. Das ändert sich aber rasch. Jüngste Entwicklungen, wie der Chatbot ChatGPT, haben eindrucksvoll gezeigt, dass KI nicht mehr in den Kinderschuhen steckt und große Auswirkungen auf die Gesellschaft hat. Auch der Transfer von KI in die Produktionstechnik gewinnt derzeit an Fahrt. Eines unserer Forschungsprojekte, ProdBot, erprobt einen digitalen Chatbot zur Versorgung des Bedienpersonals mit Prozessinformationen in einer industriellen Produktionsumgebung (Forschungsprojekt ProdBot). Die beiden Chatbots beziehen ihre Informationen aus unterschiedlichen Quellen. ChatGPT bezieht die Informationen aus dem Internet, während ProdBot mit Produktionsinformationen trainiert werden soll.
Um den aktuellen Reifegrad der GPT-Technologie zu testen, habe ich ChatGPT, den wohl bekanntesten Chatbot, gebeten, die nachfolgende Frage zu beantworten. Anschließend habe ich die Gültigkeit der Aussagen überprüft. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Zusammenarbeit mit Künstlicher Intelligenz in einem Unternehmen der Produktionstechnik in Zukunft aussehen könnte.
Wir haben ChatGPT gefragt: Was sind die Chancen und Risiken von KI in der Fertigung?
ChatGPT: “Die KI bietet viele Chancen in der Fertigung, darunter höhere Effizienz, geringere Kosten und bessere Produktqualität. Sie birgt jedoch auch gewisse Risiken, darunter die Verdrängung von Arbeitsplätzen und ethische Bedenken.
– Geringere Kosten: KI kann dazu beitragen, sich wiederholende Aufgaben zu automatisieren, die Arbeitskosten zu senken und den Ausstoß zu erhöhen, ohne die Qualität zu beeinträchtigen.
– Verbesserte Produktqualität: KI kann dazu beitragen, Fehler in Produkten während der Produktion zu erkennen, was zu einer besseren Qualitätskontrolle und weniger fehlerhaften Produkten führt.
– Vorausschauende Wartung: Mit Hilfe von KI lässt sich vorhersagen, wann ein Geräteausfall wahrscheinlich ist, so dass eine vorausschauende Wartung möglich ist, die Ausfallzeiten reduziert und Kosten spart.
Risiken:
– Verdrängung von Arbeitsplätzen: Der zunehmende Einsatz von KI in der Fertigung kann zu einer Verdrängung von Arbeitsplätzen führen, da einige Aufgaben automatisiert werden.
– Ethische Bedenken: KI kann so programmiert werden, dass sie Entscheidungen trifft, die möglicherweise nicht mit ethischen oder moralischen Werten übereinstimmen, was zu einer möglichen Schädigung von Mitarbeitern oder Verbrauchern führen kann.
– Datensicherheit: Der Einsatz von KI in der Fertigung beinhaltet die Erfassung und Speicherung großer Datenmengen, die bei unzureichender Sicherung anfällig für Cyberangriffe sein können.”
Thomas Mair: Wie Sie sehen können, liefert ChatGPT auf den ersten Blick wertvolle Informationen und logische Argumente. Trotzdem sollte man ihm nicht blind vertrauen. Der Kontext der Informationen ist manchmal falsch und wenn man nach den Quellen fragt, dann stimmen der Inhalt und die genannte Quelle oft nicht überein.
Was sind die beliebtesten Anwendungsfälle von KI in der Produktion?
Thomas Mair: Beliebte Anwendungsfälle in der Produktionstechnik sind Predictive Maintenance (PM) oder Predictive Quality (PQ).
PM kann genutzt werden, um die Wartungszyklen von Maschinen zu optimieren. Anhand der Maschinendaten, z.B. der Beschleunigungsdaten von CNC-Maschinen, wird der aktuelle Zustand der Maschine oder der Ausfall der Maschine vorhergesagt. Auf diese Weise können Wartungsintervalle angepasst und Maschinenausfälle verhindert werden. Der Einsatz von KI führt zu geringeren Wartungskosten und einer sichereren Produktion.
In der PQ wird zum Beispiel die Qualität von Produkten anhand von Bildern bewertet. Nach der Analyse wird eine Entscheidung darüber getroffen, ob das Produkt die vorgegebenen Qualitätsanforderungen erfüllt. In vielen Fällen können die Analyseergebnisse genutzt werden, um eine Aussage über die Ursache von Mängeln zu treffen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.
Eine weitere Anwendung, die derzeit intensiv erforscht wird, ist der Einsatz von Reinforcement Learning für Planungsaufgaben. So kann beispielsweise die Arbeitsvorbereitung oder die CNC-Programmplanung übernommen werden.
Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz in der Fertigung in der Industrie 4.0?
Thomas Mair: In der Industrie 4.0 geht es um die intelligente Vernetzung von Maschinen und Prozessen in der Industrie mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien. Die daraus resultierenden Datenmengen können den Menschen oder die bisherigen Methoden der Datenanalyse leicht überfordern. Und genau hier kann KI ihre Vorteile ausspielen. Wenn die Modelle auf GPUs laufen, können Prozesse und Analysen zur Beschleunigung parallelisiert werden. Darüber hinaus bieten die große Menge und die Breite der Daten das Potenzial, die Vorhersagen der Modelle präziser und robuster zu machen.
Wie trägt das neue Zertifikatsprogramm “Künstliche Intelligenz in der Produktionstechnik” dazu bei, die Wissenslücke in Bezug auf KI in der Fertigungsindustrie zu schließen?
Thomas Mair: Im neuen Zertifikatsprogramm Künstliche Intelligenz in der Produktionstechnik vermitteln wir ein grundlegendes Verständnis von Künstlicher Intelligenz, insbesondere von Machine Learning (ML). Dies geschieht entlang der Methodik Knowledge Discovery in Databases (KDD), die die wesentlichen Schritte für die erfolgreiche Entwicklung einer ML-Methode enthält. Im Rahmen des Zertifikatsprogramms wird die gesamte Prozesskette von der Aufbereitung der Daten bis zur Auswertung der Vorhersagegenauigkeit durchlaufen, um KI für die Anwender nachvollziehbar zu machen. Der Schwerpunkt des KDD-Prozesses liegt auf der Modellierung. Es werden verschiedene KI-Ansätze (z.B. Grey-Box- und Black-Box-Methoden) betrachtet und deren Vor- und Nachteile aufgezeigt. Das Programm wurde zuvor im Rahmen institutsinterner Schulungen getestet: Die Kombination aus theoretischen Grundlagen und praktischer Umsetzung in Python ist bei den Teilnehmern bisher sehr gut angekommen.
Nach Abschluss des Programms verstehen die Teilnehmenden die theoretischen Grundlagen der ML-Techniken und sind in der Lage, einige von ihnen anzuwenden. Darüber hinaus sind sie in der Lage, die wichtigsten Herausforderungen von ML-Techniken zu erkennen.
Interessiert?
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